Nachruf für Suitbert Ertel
Sein Psychologiestudium begann Ertel im Jahre 1971 an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster bei dem Gestaltpsychologen Wolfgang Metzger. Nach einem Jahr wechselte er zur Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität nach Bonn, wo er bei Erich Rothacker die Diplom-Vorprüfung bestand. Danach kehrte er nach Münster zurück und legte dort 1956 die Diplom-Prüfung im Fach Psychologie ab.
Nach einem fast zweijährigen Aufenthalt in Thailand als UNESCO Research Fellow kehrte er wieder nach Münster zurück und promovierte dort mit einem Thema über Kategorien der Personenwahrnehmung in Abhängigkeit von kulturellen Bedingtheiten. Nach weiterer Assistententätigkeit in Münster erfolgte 1968 die Habilitation für das Fach Psychologie mit anschließendem Wechsel an die Universität Heidelberg als Wissenschaftlicher Rat. 1971 erreichte ihn der Ruf auf den Lehrstuhl für Psychologie an der Universität Göttingen, den er im selben Jahr noch annahm. In Göttingen wurde er auch 1997 emeritiert.
In seinen biographischen Angaben benennt Ertel neben der Differentiellen und Persönlichkeitspsychologie, der Psycholinguistik sowie der historischen Kulturpsychologie als seine Forschungsschwerpunkte auch Grenzgebiete der Psychologie. Als Folge fügte Ertel nach einer Institutsreform für die Göttinger Psychologie dem Namen der von ihm geleiteten Abteilung den Zusatz „interdisziplinäre Psychologie“ hinzu, was ihn – so ein Zitat von Ertel –
„ ... auch dazu veranlasst, Vortragseinladungen in Kreisen von Astrologen anzunehmen.“
Wer Ertel in Gesprächen und Diskussionen kennenlernte, begegnete einem breit gebildeten und überaus interessanten und anregenden Wissenschaftler, dessen wissenschaftliche Beiträge, gepaart mit intellektueller Neugier, Diskussionen nicht selten in ganz unerwartete Richtungen verlaufen ließen. Verhärtete Standpunkte waren ihm genauso verdächtig wie stromlinienförmige Mainstreambeiträge. Ertel suchte immer nach Besonderem, das noch nicht zum wissenschaftlichen Gemeingut geworden war.
Entsprechend vielfältig und auch unkonventionell fielen seine Forschungsbemühungen und seine wissenschaftlichen Beschäftigungsfelder aus. Sie in einige wenige Themenbereiche zusammenfassen zu wollen, erscheint nicht möglich, zu vielfältig und auch vielschichtig sind die Forschungsgegenstände und auch deren Inhalte. Mit der Aufzählung von Untersuchungen zur Sprache, zur Wahrnehmung, zum Urteilen, zur Intelligenz, zur Methodik sowie zu sozialpsychologischen Thematiken ist das Feld der von Ertel bearbeiteten Themenfelder bei weitem nicht vollständig abgedeckt. Hinzu kommen die in späteren Jahren stark für ihn im Vordergrund stehenden Themen zur übersinnlichen Wahrnehmung sowie zu außerirdischen Einflüssen auf menschliches Verhalten. Gerade mit den zuletzt genannten Problemen hat Ertel die traditionellen Forschungsbereiche der Psychologie verlassen. Hierfür hat er international und interdisziplinär Diskussionspartner gesucht und auch gefunden.
All die genannten vielfältigen Beschäftigungen sind in einer fast unübersehbar großen Zahl von Publikationen sowie auch in nicht publizierten Manuskripten dokumentiert. Sie zeugen von einer niemals nachlassenden Aktivität bis zum Lebensende und dem ständigen Suchen nach neuem Wissen, das jenseits von traditionellen wissenschaftlichen Wegen vermutet und von ihm gesucht worden ist.
Suitbert Ertel war ein Wissenschaftler, wie man sie heute an deutschen Universitäten wohl nur noch selten findet. Er schöpfte die Freiheit, die ihm sein Amt und seine Tätigkeit gewährten, vollständig aus. Von außen herangetragene Reglementierungen empfand er als Einschränkung seiner Arbeit. Sein Ziel war es, die Freiheit als Wissenschaftler zu nutzen und zu leben. Diese Prinzipien galten sowohl für Ertels wissenschaftliches Arbeiten als auch für sein tägliches persönliches Arbeitsleben, das ihn vollständig in Anspruch nahm. Heute begegnet man derart selbstbestimmten und unabhängigen Wissenschaftlern in der Universität nur noch selten. So wird uns durch den Tod eines gelehrten Kollegen und dessen wissenschaftliche Würdigung darüber hinaus auch noch bewusst, welche Wandlungen sich inzwischen in der Wissenschaft und in der Universität vollzogen haben.
Gerd Lüer