Nachruf für Erna Duhm
Nach dem in Posen und Prag abgeschlossenen Diplomstudium in Psychologie kam Frau Duhm 1945 nach Göttingen. Dort setzte sie als Doktorandin bei Johannes von Allesch ihr Studium fort. Anzumerken ist dazu, dass an diesem Studienort sowie auch schon in Prag das Fach Psychologie in einer schwerpunktmäßig naturwissenschaftlichen Ausrichtung betrieben wurde, was eher zur Beschäftigung mit den theoretischen Grundlagen des Faches anregte. Erna Duhm wählte jedoch einen eigenen Weg, der sie in die Beratung und zur Hilfe für Menschen führte, die unter verschiedenen Einschränkungen ihrer Lebensführung leiden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es den Begriff „Klinische Psychologie“, so wie er uns heute geläufig ist, in dieser Zeit noch nicht gab. Von der Vorstellung, dass ein Psychologisches Institut jedoch auch in Schwierigkeit befindlichen Menschen Hilfe anbieten müsse, ließ Frau Duhm nicht ab und entwickelte selber institutionelle Voraussetzungen, Hilfsangebote zu ermöglichen und sie auch selber durchzuführen. Ihr damaliger Chef von Allesch unterstützte sie dabei zunächst mit der Einweisung in eine Hilfskraftstelle, bald danach mit einer Assistentenstelle. Nach der Habilitation 1961 und der Ernennung zur Professorin erfolgte 1974 der Ruf auf eine ordentliche Professur in Göttingen. Diese Ernennung verfestigte noch einmal die bisherige konsequent verfolgte Entwicklung und damit zugleich die Gründung eines Faches, das wir heute als Klinische Psychologie kennen, damals allerdings aus vielerlei Gründen einen schwierigen Existenzkampf zu bestehen hatte. Auch konnte nun die Klinische Psychologie als vollständiges Fach in der Lehre vertreten werden und fachlich gut trainierte Klinische Psychologen ausgebildet werden. - Mit dieser sehr verkürzten Beschreibung ist die Feststellung bedeutungsvoll, dass Erna Duhm zu den wenigen ganz frühen Vertreterinnen einer Anwendungsrichtung der Psychologie gehört, die heute unserem Fach nicht nur eine selbstverständliche sondern auch erfolgreiche Anerkennung beschert hat.
Das wissenschaftliche Interesse von Frau Duhm konzentrierte sich natürlicherweise auf Probleme der Klinischen Psychologie und der psychologischen Diagnostik. Hier war ihr auch die Einführung und Förderung der Verhaltenstherapie sehr wichtig, ohne sie allerdings zur alleinigen Anwendung im Unterricht und in der praktischen Fallarbeit zu machen. In der Projektforschung standen Fragen schädlicher Umwelteinflüsse auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen im Vordergrund.
Neben der Schilderung einer beharrlichen Verfolgung der Etablierung und der Fortentwicklung der Klinischen Psychologie an der Universität Göttingen hat Frau Duhm auch überregional sehr bedeutende Beiträge zu unserem Fach geleistet. So hat sie als Senatorin in der Deutschen Forschungsgemeinschaft maßgebliche Richtungsentscheidungen für die gesamte Wissenschaft mit verantwortet sowie das Ansehen der Psychologie maßgeblich gefördert. In unserer Wissenschaftlichen Gesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, hat sie darüber hinaus in vielen Gremien und Ausschüssen die Entwicklung der Klinischen Psychologie vorangetrieben. Auch als Senatorin in der Göttinger Universität hat sie sich fächerübergreifend für die Entwicklung der Wissenschaft und ihrer Universität engagiert.
Neben den aufgezählten Engagements für die Wissenschaft und für die Psychologie gibt es noch eine Vielzahl anderer Aktivitäten, an denen Frau Duhm richtungsweisend mitgearbeitet hat und damit über unser Fach hinaus ihr Wissen aus der Klinischen Psychologie sowie deren Anwendung zum praktischen Einsatz brachte. Als nur ein Beispiel sei ihr Einsatz als Mitgründerin und ihr lebenslanges Engagement für das Christopherus Haus in Göttingen genannt, in dem behinderte Kinder eine behütete und ihnen gerechte Betreuung finden. Schon 1985 zeichnete der Berufsverband Deutscher Psychologie e.V. Frau Duhm in Anerkennung ihrer Leistungen in der Angewandten Psychologie mit der Hugo-Münsterberg-Medaille aus. 1989 wurde Frau Duhm mit dem Verdienstkreuz am Band des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland geehrt.
Neben ihren beruflichen Erfolgen und Anerkennungen wird von der Verstorbenen im Gedächtnis bleiben, mit welcher Beharrlichkeit und ausgeprägtem Willen sie ihrer Grundüberzeugung folgte, hilfsbedürftigen Menschen zur Seite zu stehen und ihnen nach Kräften Unterstützung zu einem besseren Leben zu geben. Diese Grundüberzeugung hat Frau Duhm nicht nur in ihrem Beruf in der Universität gelebt, sondern auch noch in vielen anderen Bereichen des öffentlichen Lebens durch tatkräftiges Handeln sichtbar werden lassen.
Gerd Lüer